Im März 2024 fuhr ich für eine Exkursion meines Studiums von Berlin nach Rumänien, natürlich mit dem Zug. Bevor diese anfing, ging es für einige Tage noch in die Republik Moldau, laut einigen Medienberichten das am wenigsten besuchte Land Europas.
Der ICE 93 verbindet täglich Berlin direkt mit Wien. An unserem Abfahrtstag fuhr der Zug jedoch außerplanmäßig erst in Nürnberg los. Deswegen ging es für uns um 9:34 Uhr am Berliner Hbf mit einem ICE nach Nürberg Hbf, wo wir in den 40 Minuten Umsteigezeit die schöne Altstadt direkt neben dem Bahnhof besuchten. Um 13:32 Uhr fuhr dann der ICE T nach Wien Hbf ab. Die Strecke verläuft ab Regensburg entlang der Donau und ist sehr beeindruckend, eine schöne Kullisse um Sudokus zu lösen oder ein Buch zu lesen. Angekommen in Wien Hbf, hatten wir dort ca. 2 Stunden Aufenthalt. Im Restaurant Kaiser’s, einem urigen Restaurant ganz in der Nähe des Bahnhofs, aßen wir zu Abend. Natürlich gab es Wiener Schnitzel.
Um 19:42 Uhr war es schließlich so weit: Der Dacia Express, der Wien direkt mit Bukarest verbindet, fuhr am Wiener Hauptbahnhof los. Wir hatten zu zweit ein 3er Schlafwagen Abteil, das dritte Bett wurde während der Fahrt nicht mehr belegt, sodass wir das Abteil komplett für uns hatten. Die Betten waren sehr bequem, es gibt ein Waschbecken im Abteil mit Spiegel. Auch ein kleines Handtuch, Zahnpasta und eine Zahnbürste sowie eine Flasche Wasser bekommt jeder Passagier in dieser Klasse. Am Ende des Flurs gibt es Toiletten und sogar eine Dusche.
Wir konnten unser Glück über den gut ausgestatteten Schlafwagen kaum fassen und tranken gemütlich ein Bier im Abteil, welches wir zuvor in Wien kauften. Um 22:20 Uhr kam der Zug in Budapest-Keleti an, wo wir nochmals 50 Minuten auf weitere Fahrgäste warteten. Anschließend legten wir uns hin, wurden dann aber direkt wieder gegen 2:30 Uhr von den Grenzbeamten geweckt. Das ganze Prozedere dauerte wie immer ca. 2 Stunden, zuerst kommen die ungarischen Beamten, dann rollt der Zug über die Grenze, dann kommen die rumänischen Beamten. Die Reisepässe oder Personalausweise wurden elektronisch direkt im Wagon gescannt, was ich in dieser Weise sonst noch nirgends erlebt habe und den Prozess im Vergleich zu anderen Grenzen beschleunigt.
Am nächsten Morgen wachten wir auf mit Blick auf kleine Dörfer, Pferdekutschen und brennenden Müllbergen. In diesem Teil von Rumänien fühlt man sich wie auf einer Zeitreise, wir waren mitten in Transsilvanien. In der Nacht wurde an den Zug ein Bistro-Wagen angehangen, die Auswahl ist leider, abgesehen von alkoholischen Getränken, nicht gerade prickelnd. Es gibt labbriges Toastbrot mit Scheiblettenkäse zum Frühstück, dazu Kaffee aus einem Wasserkocher. Deswegen lieber etwas zum Frühstücken schon vor der Abfahrt besorgen.
Hinter Sigisoara wurden die Schienen merkbar schlechter, der Zug zappelte stundenlang über die abgefahrenen Gleise. An einigen Stellen konnte man große Baustellen sehen, die rumänische Bahn will ihre Versäumnisse der letzten Jahrzehnte aufholen. Ein Vorteil hat es: Die aktuell noch langsame Fahrt ermöglich es, die schöne Landschaft zu genießen die an einem vorbeizieht. Besonders beeindruckend ist diese auf der Strecke hinter Brasov. Es geht mitten durch die Südkarpaten, mit beeindruckenden Bergen zu beiden Seiten, die komplett schneebedeckt waren. Um 15:06 Uhr erreichten wir den Endbahnhof Bucuresti Nord.
In Bukarest blieben wir für eine Nacht in einem Hosten und erkundeten die Stadt. Diese hat zwei Gesichter: Zum einen die Kommunismus Bauten aus der Zeit von Ceaușescu, zu denen vor allem der Palast des Volkes und der Bulevardul Unirii gehören. Zum anderen die Altstadt welche auch „Le petit Paris“ genannt wird, das kleine Paris. Die beiden Baustiele könnten verschiedener nicht sein, wie sich das Stadtbild innerhalb von zwei Straßen verändert ist faszinierend.
Am zweiten Tag in Bukarest ging es abends weiter nach Chisinau. Schon von der Ferne ist zu erkennen welcher Zug wohl nach Chisinau fährt, die Wagons sind uralte Soviet-Wägen. Die Tickets kauften wir online bei der moldawischen Bahngesellschaft. Vor unserem Wagon erwartete uns ein freundlicher Schaffner, der uns in den Wagon begleitete und stolz den Holzofen sowie den Warmwasserkessel zeigte. Es klingt völlig verrückt und das ist es auch: Der Zug wird mit Holz beheizt. In jedem Wagon gibt es einen Holzofen, durch Leitungen wird die Wärme dann in jedes Abteil geleitet. Jeder Wagen hat demnach einen eigenen Schaffner, der regelmäßig Holz nachlegen muss.
Leider konnte ich nicht herausfinden, wie alt diese Wagons wirklich sind. Tafeln waren auf Russisch und Deutsch geschrieben. Ich vermute, dass dieser Wagon in einem früheren Leben zwischen der DDR und Russland unterwegs war. Mich würde es nicht wundern, wenn die Wagen schon seit über 60 Jahre in Betrieb wären.
Ein weiteres Highlight der Fahrt ist die Änderung der Spurweite direkt nach der Grenze zu Moldawien. Die Spurweite gibt die Distanz zwischen den Schienen an. In Moldawien hat das Schienennetz eine Spurweite von 1520 mm, in Rumänien gibt es eine Spurweise von 1435 mm, die typische Spurweite in Europa. Diese 8,5 cm Unterschied sorgen dafür, dass der Zugverkehr inkompatibel zueinander ist. Deswegen wird in der Nacht, nach der Grenzkontrolle, jeder Wagon auf eine Apparatur gestellt, die den Wagon anhebt. Das Fahrgestell wird davor gelöst, der Wagon schwebt dann ohne Räder über den Schienen. Die alten Fahrgestelle werden weggefahren und neue Fahrgestelle mit einer anderen Spurweise werden her gerollt, die Wagons werden wieder abgelassen und die Fahrt in Moldawien kann weiter gehen.
Dass bei dieser Zugfahrt wenig an Schlaf zu denken war, wird an dieser Stelle nicht mehr verwundern. Kaum ist man eingeschlafen, wurde man von den Grenzbeamten geweckt. Nachdem die Grenzkontrolle abgeschlossen war, kam das Umspuren der Wägen. Als dies auch abgeschlossen war, hoppelte man noch etwas über zwei Stunden über ramponierte Gleise und schon kam man mit wenig Schlaf in Chisinau an. Es ist definitiv ein Abenteuer, dass ich jedem empfehlen kann, eine erholsame Nacht sollte man sich von diesem Nachtzug aber nicht erhoffen. Das Bier im Bordbistro war übrigens lecker und günstig, dort konnte man auch mit rumänischen Lei bezahlen.
In Chisinau verbrachten wir drei Nächte. Dafür wie einige Artikel im Internet über die Stadt berichten, wirkt alles sehr aufgeräumt. Es gibt ein sehr gutes Busnetz, eine fantastische Auswahl an Speisen aus Ländern der ehemaligen UDSSR und freundliche Leute. Wirkliches Sightseeing kann man aber ehrlicherweise nicht betreiben, abgesehen von alten Lenin-Statuen gibt es wenig außergewöhnliches. Alle Museen kosten gerade einmal 50 Cent Eintritt, oft sind diese aber nur auf Rumänisch bzw. Moldawisch.
Ein Abend verbrachten wir in der Winzerei Cricova, einem Dorf 30 Minuten mit dem Bus von Chisinau entfernt. Dort gibt es den zweitgrößten Weinkeller der Welt. Einen weiteren Tag verbrachten wir in Transnistrien, einem de-fakto-Staat innerhalb des Staatsgebiets von Moldawien, der von keinem Land der Welt anerkannt wird. Hier lebt die Sowietunion noch weiter, unzählige Lenin-Statuen und Sowiet-Panzer sind in den Städten zu finden, auf den Straßen wird fast nur russisch gesprochen. Doch gleichzeitig wurde ich in einem Café von einer jungen Mitarbeiterin auf Englisch gefragt, ob ich Kuhmilch oder Kokosmilch für meinen Cappuccino haben möchte. Auch in diesem Flecken der Welt bleibt die Zeit nicht komplett stehen. Es war der merkwürdigste Ort auf der Welt den ich jemals besucht habe.
Am fünften Tag in Chisinau fuhren wir wieder zurück nach Bukarest, natürlich wieder mit dem Nachtzug. In diese Richtung bekam man mehr Schlaf ab, da das Umspuren und die Grenzkontrolle am späten Abend passiert und man anschließend auf den Schienen in Rumänien ohne Unterbrechung schlafen kann. Kurz nach Ankunft in Bukarest fuhren wir mit dem Zug weiter nach Brasov, wo wir den Tag mit Wandern in den umliegenden Bergen und Stadtbesichtigung verbrachten.
Am Tag darauf fuhren wir mit dem Zug nach Sibiu. Obwohl Sibiu eine bedeutendes Wirtschaftszentrum ist und Schienen von dort aus in alle Himmelsrichtungen wegführen, ist der Zugverkehr dorthin sehr schlecht. Mit einer Diesellok zuckelten wir fast 3 Stunden nördlich der Südkarpaten entlang, immer mit Blick auf die Berge zur linken Seite. In Sibiu waren wir dann eine Woche auf Exkursion, das Programm wurde von der Hochschule organisiert.
Nach Ende der Exkursion ging es für uns wieder zurück nach Berlin. Um 17:32 Uhr nahmen wir eine Regionalbahn, die noch komplett die DB Lackierung hatte und nur das Logo ausgetauscht wurde. Nach 1 1/2 Stunden in der heruntergekommenen Bahn kamen wir in Medias an, dort hatten wir nochmal knapp zwei Stunden Aufenthalt, bevor wir in den Dacia-Express nach Wien einstiegen, der in Medias einen kurzen Halt macht. Im Nachtzug hatten wir wieder den gewohnten Komfort von unserer Hinreise.
Am nächsten Morgen kamen wir pünktlich in Wien an und hatten dort ganze 14 Stunden Aufenthalt. Der günstigste Zug von Wien nach Berlin war für diesen Tag der Nachtzug im Liegewagen, inklusive Frühstück. Deswegen beschlossen wir im Voraus, einen Tag Städte Tripp in Wien einzulegen. Prater, Schloss Schönbrunn, Domkirche St. Stephan – an diesem Tag sahen wir alle Highlights von Wien. Um 22:10 Uhr ging es dann im 6er Liegewagen durch Tschechien zurück nach Berlin. Wie so oft hatten wir nette Abteilgenossen, mit denen man sich lange am Abend und am Morgen unterhalten hat, sodass die Fahrt sehr schnell vorbei ging.
Die meisten meiner Kommilitonen hatten sich für die Strecke von Berlin nach Sibiu für das Flugzeug entschieden. Zugegeben, die Reisedauer ist bedeutend kürzer und der Buchungsaufwand ist wesentlich geringer. Doch gleichzeitig haben wir so viel auf der Strecke erlebt und gesehen, was man beim Überfliegen des Gebiets nicht wahrnehmen kann. Tatsächlich wurde uns auf der Strecke nie langweilig, ich kam nicht einmal dazu das Buch, welches ich mitgenommen habe zu lesen. Sudoku lösen, einen Abstecher ins Bordbistro machen, Karten spielen, schlafen, und schon war man da.
Schreibe einen Kommentar