Vor einigen Jahren traf ich einen jungen Tschechen im Zug durch Serbien, der mir ein Video von sich in einem völlig ramponierten Zug in Albanien zeigte. Seit dieser Begegnung hatte ich den Traum, dieses Abenteuer einmal selbst zu erleben.

Mitte August 2024 war es dann so weit. Neben Albanien wollte ich auch noch nach Nordmazedonien und Kosovo und dabei versuchen so wenig wie nötig mit dem Bus zu fahren. Über die DB ergatterte ich mir für die erste Strecke ein unglaublich günstiges Ticket von 34,99€ von Berlin Hbf bis nach Győr in Ungarn. Die Verbindung bestand aus einem Railjet der ČD über Prag bis nach Wien, anschließend mit einem Railjet der ÖBB weiter bis nach Győr. Die Aussicht aus dem Fenster in Tschechien ist immer wieder beeindruckend, dauerhaft gibt es Berge im Hintergrund zu bestaunen. Und auch das kulinarische Angebot in beiden Railjets war hervorragend.
Von Győr aus fuhr ich mit einer Regionalbahnen nach Tapolca und von dort weiter bis nach Révfülöp am Balaton, dem Plattensee. Dabei kam direkt Balkanstimmung auf, alte DB-Züge die über abgefahrene Strecken stolpern, Bahnhöfe ohne Bahnsteige, und in Tapolca musste ich wieder aus meinem Zug aussteigen da dieser einen Motorschaden hatte. Eine Ersatzlok wurde irgendwoher aufgetrieben und mit etwas Verspätung kam ich am späten Abend an.
Am Balaton verbrachte ich zwei Nächte im wunderschönen Hullam Hostel. Dort gibt es eine riesige Veranda, in der sich das komplette soziale Leben im Hostel abspielt und es sehr einfach macht, andere Reisende zu treffen. An der Bar kann man zudem zu günstigen Preisen Snacks und Getränke kaufen.
Nach Albanien war es noch ein weiter Weg, deswegen verließ ich nach zwei Nächten das Hostel. Ich hatte einen ambitionierten Plan: Am Abend den Nachtzug von Belgrad in Serbien nach Bar in Montenegro erwischen. Für dieses Unterfangen war ich auf einen Bus zwischen Subotica und Novi Sad angewiesen, um diesen Bus zu bekommen darf der Zug nach Subotica nur wenig Verspätung haben. Zudem kann man für den Nachtzug nur Tickets in Serbien oder in Montenegro kaufen, ich musste also hoffen, dass noch Plätze verfügbar sind.
Mit einem IC ging es von Révfülöp bis nach Budapest-Kelenföld. In der ersten Stunde hielt der Zug an jeder Milchkanne um den Balaton an, danach fuhr er mit der für Ungarn sehr schnellen Geschwindigkeit von 120 km/h und wenigen Halten bis in die Hauptstadt. Mit dem Regionalzug G43 konnte ich von Kelenföld zum verrosteten Bahnhof Kőbánya-Kispest fahren, wo ich in den Zug nach Szeged im Süden Ungarns einstieg. Von dort fahren seit November 2023 wieder Züge nach Subotica, die aktuell einzige Zugverbindung vom Rest Europas nach Serbien.
Der Zug war gut gefüllt und es war schön zu sehen, dass viele Passagiere an den kleinen Bahnhöfen auf der Strecke aussteigen. Hier wurde ein attraktiver, grenzüberschreitender Nahverkehr geschaffen. Die Grenzkontrolle dauerte eine ganze Weile aber lag in der vom Fahrplan vorgesehenen Zeit und es war beängstigend zu sehen, was Ungarn für einen massiven Grenzzaun nach Serbien gebaut hat. Am Bahnhof Subotica waren die Bauarbeiten der Hochgeschwindigkeitsstrecke nach Novi Sad in den letzten Zügen und man sah viele chinesische Arbeiter, die an den Gleisen und Bahnsteigen arbeiteten, das Projekt wird vom chinesischen Staat durchgeführt.
Bevor die Verbindung fertiggestellt ist, kommt man nur mit einer sehr langsamen Regionalbahn von Subotica über Sombor nach Novi Sad. Bei meinem straffen Zeitplan war das keine Option, deswegen lief ich 15 Minuten zum Busbahnhof und nahm den Bus nach Novi Sad (was tausendmal schneller ist als die Regionalbahn). Von dort aus fuhr ich auf dem ersten Abschnitt der neuen Hochgeschwindigkeitsbahn weiter nach Belgrad Central.
In Belgrad Central war ich das letzte Mal 2 Jahre zuvor. Nachdem sich jahrelang nichts getan hat und vor 2 Jahren der Eingang zum Bahnhof aussah wie ein Eingang zu einer U-Bahn-Station, ist das Empfangsgebäude inzwischen fertiggestellt. Alles ist herausgeputzt, schicke Architektur und nette Geschäfte. Das Zumindest auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick stellt man fest, dass für die Instandhaltung keinerlei Geld ausgegeben wird. Wie Toiletten nach einem Jahr so ranzig aussehen können, ist mir ein Rätsel, Toilettenpapier und Papierhandtüchern sind natürlich auch nicht vorhanden. Vieles in diesem Bahnhof wirkt auch nicht durchdacht, mal sehen, wie sich dieser Bahnhof in den nächsten Jahren entwickelt.
Für den Lovćen, den Nachtzug nach Bar, gab es in dieser Nacht leider nur noch Sitzplätze. Für die nächsten beiden Tage waren gar keine Tickets mehr zu bekommen, deswegen entschiede ich mich dafür ein Ticket für die Holzklasse zu kaufen. Die Nacht war natürlich nicht angenehm, ich konnte kaum schlafen. Das Licht war die ganze Nacht über an, im Wagon wurde geraucht und die Einheimischen feierten lautstark den Beginn ihres Badeurlaubs. Doch irgendwie war es auch cool dies einmal miterlebt zu haben.
Die Aussicht auf das Gebirge bei Sonnenaufgang war unglaublich, ich stand Ewigkeiten morgens am Fenster (natürlich eins zum Aufschieben). Angekommen in Bar machte ich dort ein Tag Pause und besichtigte mit Leuten, die ich im Hostel kennengelernt habe, Bars Altstadt Stari Bar.
Am Tag darauf hatte ich das Ziel, nach Durrës in Albanien zu gelangen. Nachdem ich vor zwei Jahren den Bus über die Grenze genommen habe, versuchte ich es dieses Jahr mit Trampen. Das funktionierte auch ganz gut, nach drei Mitfahrgelegenheiten kam ich in Shkodra an. Die ethnischen Konflikte in dieser Region kamen bei den Fahrten aber sehr klar zum Ausdruck, was ich dort hören musste, würde bei uns zur Volksverhetzung zählen. Von Shkodra nahm ich einen Bus nach Durrës und wartete dort einen Tag bei 37 Grad und 95% Luftfeuchtigkeit auf den Zug der Züge, dem Grund warum ich diese Reise angetreten bin.
Am Bahnhof Plazh in Durrës fährt am Freitag, Samstag und Sonntag ein Zug nach Elbasan, am Samstag und Sonntag kann man zudem Umsteigen in eine Stichstrecke nach Lushnje. Dieser Streckenabschnitt wurde erst wenigen Wochen bevor ich dort war wieder in Betrieb genommen. Der „Bahnhof“ besteht aus maroden Gleisen und einem Baucontainer in dem Tickets verkauft werden. Das Ticket hat ca. 1,20€ gekostet.
Die Diesellok tschechischer Bauart mit den alten DR/DB Wägen stand bereits zur Abfahrt bereit. Da die Wägen einst voller Graffiti waren, wurden diese mit roter Farbe überpinselt. Auf den Fensterscheiben sieht man hingegen weiterhin die Kunstwerke der Graffitikünstler, außer natürlich bei den Fenstern, die keine Fensterscheibe mehr haben. An einigen Stellen gab der Boden nach, die Inneneinrichtung war auf Funktionalität reduziert. Pünktlich um 14:00 fuhr der Zug los. Alles wackelte, während der Zug mit Schrittgeschwindigkeit durch die Vorstadt schlich. Fast durchgehend dröhnte die Lokpfeife, um Straßenhunde oder Menschen zu verjagen oder Autofahrer bei Bahnübergängen zu warnen. Schilf, Äste und Sträucher, die in die Fahrbahn hingen, schlugen in die offenen Fenster, man musste Acht geben um nicht von einem Ast erwischt zu werden. Als der Zug in den Tunnel fuhr, legte eine Schaffnerin eine Taschenlampe in den Mittelgang, um wenigstens etwas Licht im Wagon zu haben, Strom gab es natürlich nicht.
Immer wieder hielt der Zug an und weitere Passagiere stiegen in den Zug. Als ich pünktlich in Grogozhinë ankam und umsteigen musste, war der Zug gut gefüllt. Am zweiten Bahnsteig stand mein Zug nach Lushnje bereit. Ich war der einzige Passagier der umstieg, insgesamt waren in diesem Zug nur 6 Passagiere. Der Zug war fast identisch mit dem vorherigen. Die Wagons waren in etwas besserem Zustand, dafür die Lokomotive in schlechterem. Nach 45 Minuten in diesem Zug kam ich in Lushnje an. Ein Traum von mir ging in Erfüllung und die Fahrt war genauso abenteuerlich wie ich es mir vorgestellt habe. Ein Kuriosum in Europa das ich jedem nur wärmstens ans Herz legen kann.
Ich ging davon aus, dass es von Lushnje nach Berat bestimmt Busse gibt. Immerhin führt die einzige Straße nach Berat durch Lushnje oder an Lushne vorbei. Ich fragte mehrere Einheimische, alle sagten mir andere Positionen, wo der Bus denn abfahren sollte. Nachdem ich eine Stunde hin und her gelaufen bin, gab ich auf und streckte wieder meinen Daumen am Straßenrand hinaus um nach Berat zu gelangen.
In Berat blieb ich für zwei Nächte. Es ist eine richtig schöne Stadt in den Bergen, ein komplett anderes Stadtbild als in Durrës. Auch die Temperaturen waren hier wieder angenehm, ohne die unerträgliche Luchtfeuchtigkeit. Weiter hinten im Tal gibt es beeindruckende Canyons, leider war die Tour für den nächsten Tag die ich dorthin gefunden habe bereits ausgebucht weswegen ich den Tag mit wandern um Berat verbrachte.
Um 4:30 am Morgen fährt ein Bus direkt von Berat nach Korça. Das hielt ich für die Beste Möglichkeit, um in den Süden von Nordmazedonien zu gelangen. Vom Bus aus sah man über lange Abschnitte die alte Eisenbahnstrecke von Elbasan nach Pogradec, über die schon lange kein Zug mehr gefahren ist. Sehr schade, auf den vielen Brücken gäbe es bestimmt eine bombastische Aussicht. Aber auch vom Bus aus war diese beeindruckend. Von oben in den Bergen hatte man das erste Mal Sicht auf den Ohrid See, bevor man lange an diesem entlangfuhr.
In Korça stellte ich fest, dass es zwar viele Busverbindungen nach Griechenland gibt, aber keine nach Mazedonien. Das Trampen war ich inzwischen ja schon gewohnt. Diesmal war es aber echt schwierig, zur Grenze Gorica – Stenje fuhr nur vielleicht alle 5 Minuten ein Auto. Es dauerte eine ganze Weile, bis mich doch ein Transporter mitnahm. Dieser fuhr direkt bis nach Bitola, die Stadt in die ich wollte. Was ein großer Glückstreffer. Ich verbrachte den Nachmittag in Bitola mit Sightseeing und in Cafés. Abends um 18:23 fuhr mein Zug von Bitola nach Skopje. Es handelt sich um den ersten Zug der chinesischen Firma CRRC in Europa und dieser macht einen ganz guten Eindruck, vergleichbar mir S-Bahnen oder Regionalbahnen in Deutschland. Das Problem sind die Schienen, die in viele Abschnitte nur Geschwindigkeiten von 30 km/h zulassen. Mit über einer halben Stunde Verspätung kam ich so nach 4 Stunden in Skopje an, für eine Strecke von 180 km.
Der Bahnhof von Skopje ist unglaublich hässlich. Wie auch viele anderen Gebäude in der Stadt, wurden diese nach dem Erdbeben 1963 im brutalistischen Stil gebaut. Zudem verkommt er seit Jahren, Rolltreppen funktionieren nicht mehr, die Deckenverkleidung fehlt an vielen Stellen und es ist unglaublich schmutzig. Das Licht im Bahnhof ist außerdem sehr gedimmt, das bietet gleichzeitig aber auch eine ganz eigene Atmosphäre. Auch die vielen weiteren brutalistischen Bauten in der Stadt sind sehenswert.
Neben dem Brutalismus gibt es aber auch das neue Skopje, das Project 2014. Die Regierung hat viel Geld ausgegeben, um ein neues Stadtzentrum mit historisch aussehenden Gebäuden und vor allem ganz, ganz vielen Statuen zu erstellen. Auch wenn es viel Kritik an diesem Projekt gab, das Stadtzentrum ist heute eine große Fußgängerzone, in der viele Leute flanieren. Vor dem Projekt schoben sich hier Blechlawinen durch die Straßen. Ich war von Skopje sehr überrascht und kann es als Städtetrip sehr empfehlen, gerade da es so einzigartig ist.
Von Skopje nach Pristina wurde am 9. März 2020 der Bahnbetrieb nach vielen Jahren wieder aufgenommen, nur um 4 Tage später wegen Covid-19 wieder eingestellt zu werden. Seitdem wurde der Personenverkehr auf dieser Strecke nicht wieder aufgenommen. Somit war ich gezwungen einen Bus zu nehmen, der zugegebenermaßen sehr komfortabel und schnell war. Die Autobahninfrastruktur zwischen den beiden Städten ist beeindruckend, hier wurde die letzten Jahre sehr viel Geld investiert. Sehr schade ist es hingegen der Blick auf die alten Schienen neben der Autobahn, die nicht mehr verwendet werden.
Über Pristina habe ich leider nicht viel Gutes zu berichten, ich habe die Stadt als furchtbar autozentriert wahrgenommen. Überall stehen und fahren Autos, überall gibt es Autolärm. Es gibt nur eine einzige Fußgängerzone, diese ist am Abend natürlich völlig überlaufen. Als positives muss man sagen, dass man sehr gut sehr günstig und urig essen kann. Die Nationalbibliothek ist außerdem architektonisch interessant und kurios ist die Bill Clinton Statue.
Am zweiten Morgen in Pristina ging es weiter, diesmal wieder mit dem Zug. Im Kosovo gibt es aktuell nur eine einzige Eisenbahnverbindung, von Pristina nach Peja. Der Bahnhof von Pristina, der Hauptstadt des Kosovos, ist kleiner als die meisten Provinzbahnhöfe in Deutschland. Die Zuggarnitur bestand wie auch schon in Albanien aus einer einst tschechischen Diesellokomotive mit zwei ex-DB Wagons. Hier hatte die Lok aber eine schicke rote Lackierung und die sehr beeindruckenden Graffitis auf den Wagons wurde nicht überpinselt. Die Scheiben waren hier auch in allen Fenstern vorhanden, wenn auch oft mit Sprüngen und übermalt. Sogar elektrisches Licht im Tunnel gab es. Mit deutschen Standards vergleichbar ist der Zug trotzdem lange nicht gewesen.
Nach zwei Stunden kam ich in Peja an und verbrachte dort einige Zeit in einem Café und mit Besichtigung der Innenstadt mit dem bombastischen Bergpanorama. Dann brachte mich ein Bus über die Grenze nach Montenegro, wo ich in Berane ausstieg. Der Busfahrer war super, während 5 Leute auf der Straße mir ein Taxi andrehen wollten, sagte er mir wo ich warten muss um einen Bus Richtung Bijelo Polje zu bekommen. Der nächste Busfahrer war auch super, er fuhr nicht direkt bis Bijelo Polje sondern bot mir an mitzufahren bis die Abzweigung dorthin kommt. Ich fuhr dann sogar noch ein bisschen weiter, bis ich in der Nähe des Bahnhofs Ravna Rijeka ausstieg. Das ist ein Bahnhof mitten im Wald, zu dem nur ein Trampelpfad führt. Ich war etwas skeptisch, ob ein Zug hier wirklich anhält, das war zum Glück der Fall und der Zug brachte mich bis zur Grenzstadt Bijelo Polje.
Von hier aus fuhr ich mit dem Nachtzug Lovćen wieder zurück nach Belgrad. Diesmal hatte ich ein Liegeplatz im 6er-Abteil, das Ticket dafür habe ich mir nach Ankunft in Bar gekauft. Eine sehr angenehme Nacht, kein Vergleich zu den Strapazen auf dem Hinweg. Mit wie üblich etwas Verspätung kam der Zug in Belgrad an, wo ich den nächsten SOKO-Zug nach Novi Sad nahm. Da es zeitlich passte, entschied ich mich den langsamen Zug von Novi Sad nach Subotica über Sabor zu nehmen. Es hat Ewigkeiten gedauert, mit 40 Minuten Verspätung und somit 4 Stunden und 40 Minuten Fahrzeit für die 163 km lange Strecke kam ich in Subotica an. Ich habe gerade noch den Zug über die Grenze nach Ungarn bekommen.
Auf der anderen Seite der Grenze in Szeged wollte ich mir ein Ticket für den Nachtzug von Budapest nach Berlin kaufen, doch es gab wieder einmal nur noch Sitzplätze. Das wollte ich mir nicht noch einmal antun, somit entschied ich mich eine Nacht in Budapest zu verbringen. Für den Direktzug am Tag von Budapest nach Berlin gab es noch wenige Tickets in der 1. Klasse. Während die DB dafür über 250€ verlangte, wollte die MAV nur 119,50€. Da sagte ich zu und saß das erste Mal in meinem Leben in der 1. Klasse, in einem Zug der 12 Stunden durch Mitteleuropa fährt und ein hervorragendes Bordbistro hatte. Sehr erschöpft und voll von neuen Impressionen kam ich abends in Berlin an.